Kreta: Kuppelgräber und Kleinsiedlungen

Kreta: Kuppelgräber und Kleinsiedlungen
Kreta: Kuppelgräber und Kleinsiedlungen
 
Die Bronzezeit beginnt auf der Insel Kreta um 3000 v. Chr., gleichzeitig mit der frühen Kulturblüte der Kykladen und des griechischen Festlandes. Die archäologische Wissenschaft hat die kretische Kultur nach dem mythischen König Minos, dem Herrscher von Knossos, als minoische Kultur bezeichnet und in drei Hauptphasen gegliedert: eine frühminoische Periode des 3. Jahrtausends, die mittelminoische Zeit ab etwa 2000 v. Chr., die als Altpalastzeit bezeichnete Zeit der kretischen Hochkultur, in der die ersten Paläste entstanden, und die spätminoische Phase der Neupalastzeit nach 1600 v. Chr. Obgleich die griechische Überlieferung von der frühen kretischen Kultur berichtet und sowohl die Seeherrschaft des Königs Minos in ihren Sagen widerspiegelt als auch die Teilnahme des Königs Idomeneus von Knossos am Trojanischen Krieg, begann die archäologische Erforschung der Insel erst spät. Ab 1900 grub der Brite Sir Arthur Evans in Knossos, dem Sitz des Königs Minos. Bald danach legten französische Archäologen den Palast von Mallia und italienische Gelehrte den von Phaistos frei. Britische und amerikanische Gelehrte waren auch im Osten Kretas in den Stadtsiedlungen von Gurnia, Palaikastro, in Pseira und Mochlos tätig. Die archäologischen Aktivitäten wurden nur durch die beiden Weltkriege unterbrochen. 1964 entdeckten griechische Archäologen im Osten der Insel den Palast von Kato Zakros, und erst 1993 wurde ein fünfter minoischer Palast in Galatas, im zentralen kretischen Inland, gefunden.
 
Sehr kleine, nur aus wenigen Gebäuden bestehende dorfartige Siedlungseinheiten kennzeichnen die frühe minoische Kultur des 3. Jahrtausends v. bevorzugte man offen und ungeschützt im Flachland liegende Dorfanlagen. In Küstennähe befanden sich die Dorfanlagen auf kleinen Hügeln, die durch Steilhänge einen natürlichen Schutz bieten. Das beste Beispiel hierfür ist die bei Myrtos auf einem schwer zugänglichen Berghang direkt an der See gelegene Siedlung von Phurnu Koryphi. Die Siedlung besteht aus in einfacher Bruchsteintechnik errichteten, unregelmäßig angelegten, rechteckigen Raumeinheiten, die wohl mit einem Lehmziegeloberbau versehen waren. Korridore und Hofanlagen gliedern den Baukomplex. Es handelt sich dabei offenkundig um eine Kleinsiedlung, in der eine größere Sippe oder auch mehrere kleinere Familien lebten, die sich im Wesentlichen von Landwirtschaft und Viehzucht ernährten, während trotz der Nähe zur See der Fischfang offenbar keine Rolle spielte. Die Fundstücke lassen erkennen, dass hier auch einfache gewerbliche Keramik und Webarbeiten gefertigt wurden. In ganz ähnlicher Weise ist die Siedlung von Trypiti an der kretischen Südküste, am Südabhang der Asteroussiaberge, auf einem Hügel in einer kleinen Strandebene konzipiert. Mehrere Häuser mit rechteckigen kleinen, unregelmäßig angelegten Räumlichkeiten werden hier durch eine Wegführung in zwei Hauptgruppen gegliedert. Zwar tritt in der Nähe ein Flusslauf ins Meer, doch fehlt auf dem Siedlungshügel selbst eine Quelle, sodass das Trinkwasser in Vorratsgefäßen gelagert werden musste. Das Schutzbedürfnis der Bewohner, das auf unruhige Zeiten hinweist, war jedoch offensichtlich so groß, dass dieser Nachteil in Kauf genommen wurde. Auf eine ähnliche, nur wenige Familien umfassende Ansiedlung weisen auch die Ausgrabungen von Myrtos hin. Die beiden Fundplätze Myrtos und Trypiti lassen eine frühminoische Sozialstruktur erkennen, die durch Familien und Sippenverbände geprägt war.
 
Nur an den später wichtigen Zentren der minoischen Kultur wie etwa in Knossos entwickelten sich bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. großflächige Siedlungen. Forscher glauben heute, dass die dortige Siedlung bereits eine Fläche von etwa 5 ha bedeckte. Ein derartiges städtisches Zentrum kontrollierte vermutlich bereits ein ausgedehnteres Gebiet der Insel, ohne dass sich bisher exakt die Grenzen des Herrschaftsgebietes definieren ließen.
 
Wichtige kulturgeschichtliche Einblicke vermitteln die Grabanlagen des frühen Kreta: In Südkreta, in der Messaraebene, entstanden in dieser Zeit runde Grabanlagen, deren Mauerwerk aus Bruchstein in Lehmverband besteht. Das Vorkragen der Mauern, wie es bei diesen Grabstätten vielfach zu beobachten ist, weist darauf hin, dass es sich hier um Kuppelgräber (Tholos), Grabstätten mit einer bienenkorbartig ausgestalteten Kuppel, handelt. Der Durchmesser der Gräber beträgt zwischen 4 und 13 m, die Kuppelhöhe dürfte etwa dem Durchmesser entsprochen haben - also durchaus aufwendige, monumentale Anlagen. Die Gräber bargen oft Hunderte von Beisetzungen, sodass man sie als Bestattungsplätze von Familien oder Sippenverbänden interpretieren kann. Gräber und Siedlungen erlauben so eine einander entsprechende sozialgeschichtliche Deutung. Ein unmittelbarer Bezug zwischen einem Tholosgrab und einer frühminoischen Kleinsiedlung lässt sich am Fundort Trypiti herstellen. Dort liegt nur wenige hundert Meter von der Siedlung entfernt ein kleines Tholosgrab. Man kann also davon ausgehen, dass es sich hier um den Bestattungsplatz der Bewohner dieses kleinen Dorfes handelt.
 
Den Toten wurden Gefäße aus Ton und Stein mitgegeben, die Speise und Trank für das Jenseits enthielten, Schmuck aus Halbedelsteinen, seltener aus Gold, Siegel sowie Geräte und Waffen aus Bronze und Kupfer. Gerade die Gräber der Messaraebene vermitteln damit das Bild einer bäuerlich geprägten, durchaus wohlhabenden Gesellschaft.
 
Im östlichen Kreta herrschen andere Grabformen vor. Hier finden wir auf Steinplatten errichtete Kammergräber oder größere hausartige Gräber, die wie die Tholoi in der Regel Mehrfachbestattungen dienten. Gelegentlich wurden auch natürliche Höhlen oder Felsspalten für Bestattungen benutzt. An den Grabbeigaben lässt sich gerade im Osten der Insel recht gut ablesen, dass sich bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. gesellschaftliche Eliten herausgebildet hatten, die sich von dem durchweg bäuerlich-dörflich geprägten Kulturniveau abgrenzten. Sicheres Anzeichen dafür sind vor allem der in der Nekropole von Mochlos im östlichen Kreta vorgefundene reiche Goldschmuck - Diademe, Blatt- und Blütenformen aus Goldblech - wie auch Funde von Steingefäßen und Siegeln, die den Toten mitgegeben wurden. In den Funden und Ausgrabungen aus frühkretischer Zeit, von den Dorfsiedlungen bis zu den Kuppel- und Hausgräbern, zeigt sich das Bild einer Gesellschaft auf dem Weg zu einer Hochkultur.
 
Auch das Kunsthandwerk weist in seiner stilistischen Ausprägung auf Entwicklungen zu einer Hochkultur voraus. Wir finden nun bereits in Ansätzen eine ausgeprägte Vorliebe für Bewegungsmotive, wie sie auch die spätere minoische Kunst charakterisieren. Dazu zählt in der Vasenmalerei die Tendenz zu einer Vereinheitlichung der Gefäßoberfläche und zur Betonung des Gefäßvolumens bei gleichzeitiger Abwendung von einer strengeren Gliederung des Gefäßkörpers. Diese Tendenz setzt sich im 2. Jahrtausend v. Chr. fort. Am deutlichsten werden diese Stilmerkmale in der geflammten Tonware der entwickelten frühminoischen Zeit, die nach einem Fundort im Osten Kretas auch als Vassilikistil bezeichnet wird. Durch den unregelmäßigen Auftrag eines Firnisüberzuges, der im Ofen wechselnd oxidierend wie reduzierend gebrannt wird, entsteht ein reizvoller, in Schleifen und Bogenformen bewegter Dekor. Die Oberflächenzeichnung ist zum Teil beabsichtigt, zum Teil unterliegt sie auch dem Spiel des Zufalls. Die Vassilikikeramik löst die älteren, noch einfarbig gehaltenen Keramikgattungen des 3. Jahrtausends mit ihren schlichten eingeritzten oder einpolierten Ornamenten und die hellgrundigen Tongefäße mit linear abstrakter Bemalung ab. Die geflammte Vassilikiware, in der sich erstmals Bewegung und Freude an fantasiereichem, unregelmäßigem Ornament offenbaren, stellt demgegenüber einen wirklichen Fortschritt dar.
 
Am Ende des 3. Jahrtausends löst eine weiß bemalte Keramik die geflammte Ware ab. Ihr Dekor umfasst teils noch starre, lineare geometrische Elemente, aber auch bewegte Motive wie Bogenlinien und Spiralen. Aus dieser Gattung entsteht zu Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. die Kamareskeramik, die die Kunst der älteren minoischen Palastzeit bestimmt.
 
Kreta unterhielt bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. Handelsbeziehungen zu den Hochkulturen des östlichen Mittelmeerraums, die das kretische Kunsthandwerk damit schon früh beeinflussten. Die Praxis des Siegelns von Waren und Gefäßen zur Kennzeichnung des Eigentümers beruht wohl auf mittelmeerischen Vorbildern. Ägypten exportierte Steingefäße, deren Formen von kretischen Handwerkern gelegentlich nachgeahmt wurden. Auch die Technik der Bearbeitung harten Steinmaterials dürfte von dort übernommen worden sein. Dazu kamen aus dem Osten wertvolle Rohmaterialien wie etwa Elfenbein. Auch die Kontakte zur Kupferinsel Zypern waren in dieser Zeit bereits geknüpft. Von hier exportierte man den Rohstoff Kupfer, der für die minoische Kultur unentbehrlich war, da Kreta selbst über keine hinreichenden Metallvorkommen verfügte. Wichtiger noch sind in der Frühzeit die kulturellen Kontakte zu den Kykladen: Kykladenidole findet man auch in kretischen Gräbern relativ häufig, und kykladisches Metallhandwerk beeinflusste kretische Waffenformen (Dolchtypen). Die Beziehungen zu der ägäischen Inselwelt scheinen sogar so eng gewesen zu sein, dass sich im 3. Jahrtausend an manchen Plätzen der kretischen Nordküste kleine Gruppen von Einwanderern aus dieser Region niederließen. So finden sich in der ostkretischen Nekropole von Hagia Photia an der Nordküste kleine Felskammergräber kykladischen Typs. Auch das keramische Fundmaterial zeigt dort deutliche kykladische Einflüsse. Es unterscheidet sich von der gewohnten minoischen Keramik so deutlich, dass einige Gelehrte hier an eine Einwanderung von Kykladenbewohnern glauben.
 
Prof. Dr. Hartmut Matthäus
 
 
Demargne, Pierre: Die Geburt der griechischen Kunst. Die Kunst im ägäischen Raum von vorgeschichtlicher Zeit bis zum Anfang des 6.vorchristlichen Jahrhunderts. München 1965.
 
Kreta. Das Erwachen Europas, herausgegeben vom Niederrheinischen Museum der Stadt Duisburg. Duisburg 1990.
 Matz, Friedrich: Kreta und frühes Griechenland. Prolegomena zur griechischen Kunstgeschichte. Neuausgabe Baden-Baden 31979.
 Schiering, Wolfgang: Funde auf Kreta. Göttingen u.a. 1976.

Universal-Lexikon. 2012.

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